Jörgs Arbeitsnotizen


Kampf um das Netz: Wem gehört das Internet?

Das Internet (genauer das World Wide Web) wird von interessierter Seite sowohl als Hoffnungsträger zur Generierung neuer Einnahmen gehandelt, wie auch als Gefahr speziell für das geistige Wohl speziell von Kindern und Jugendlichen gebrandmarkt. Daneben ist es noch Hort der Kriminalität, die von »illegalen« Musikdownloads bis zur Verbreitung von Kinderpornographie reicht. Und andere wiederum schwärmen von einem »Web des Wissens«, das Lehre und Forschung verändern wird oder von einem emanzipatorischen Medium der »Generation Facebook«, die Revolutionen, wie die in der arabischen Welt oder jüngst in Spanien, auslösen kann. Da ist die Frage erlaubt und wichtig: Wem gehört eigentlich dieses Internet?

Als erstes sollte man drei Bereiche unterscheiden, die zusammen das Netz ausmachen:

  1. Die Netzinfrastruktur, das heißt, die Kabel oder sonstigen Kommunikationsverbindungen, die das Grundgerüst des Internets ausmachen. Es gibt Hochgeschwindigkeits-Backbones und schmalbrüstige Leitungen auf dem Land, speziell auf der sogenannten »letzten Meile« zum Endverbraucher. Diese Netze gehören Unternehmen und der Verbraucher zahlt entweder direkt oder indirekt über seinen Internet-Service-Provider (ISP) für deren Nutzung.

  2. Die Server, auf denen die Inhalte des Netzes liegen und über die diese Inhalte (neudeutsch auch »Content« genannt) an die Nutzer verteilt werden. Dies können riesige Serverfarmen wie die von Google oder Amazon sein, etwas kleinere, aber imer noch riesige, wie die von den ISPs (in Deutschland sind die Größten vermutlich 1&1, Strato oder Host Europe), aber auch einzelne Rechner, die ein engagierter Privatnutzer in seinem Wohnzimmer stehen hat. Und nicht zu vernachlässigen sind die Server, die Hochschulen und Forschungsinstitute oder deren Rechenzentren betreiben. Hier unternehmen viele Studierende ihre ersten Schritte als Internetanbieter - auch Riesenunternehmen wie Facebook oder Google haben als studentischen Projekte auf Servern einer Hochschule ihren Anfang genommen.

  3. Die eigentlichen Inhalte. Ohne sie, ohne den Content, der einem weitverbreiteten, aber nicht unbedingt richtigen Bonmot, »King« ist, wäre das Internet nur eine Infrastruktur, die sinnlos vor sich hin brummte, Geld verschlänge und keinen Nutzen brächte. Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Denn während die einen, vorwiegend die großen Unternehmen der »klassischen« Medienbranche, das Netz nur als einen weiteren Vertriebskanal für ihre ohnehin schon vorhandenen Inhalte begreifen, sehen andere darin ein Medium, das das alte Brechtsche Versprechen vom »Rundfunk, der von einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat« zu wandeln sei, endlich einlösen kann.

Und die Chancen stehen auch nicht schlecht. Litten die klassischen Medien darunter, daß nicht nur die Produktion der Inhalte, sondern auch die Distribution der Medienprodukte einen nicht unbeträchtlichen finanziellen Aufwand verlangten, sind die Distributionskosten - zumindest in der Theorie - im Netz minimal. Der Nutzer hat für seinen Internetanschluß schon bezahlt und er kann Inhalte sowohl hoch- wie auch herunterladen. Denn im Prinzip ist das World Wide Web ein Two Way Web, wie der Internetpionier Dave Winer nicht müde wird zu wiederholen.

Doch schon hier sieht die Praxis leicht anders aus. Die meisten kostengünstigen Netzanschlüsse sind asymmetrisch, das heißt der Downloadkanal ist viel, viel schneller als der Uploadkanal. Das deckt sich mit dem oben angesprochenen Zielen der Medienindsutrie, die ihre Inhalte verbreiten will und wenig Interesse daran hat, daß beliebige Nutzer beliebige Inhalte ebenso schnell hochladen und verbreiten können. Und viele Nutzer nehmen es - vielleicht auch, weil sie es nicht anders kennen - einfach hin, daß das Hochladen eines vielleicht zehnminütigen Videos zu YouTube schon einmal mehrere Stunden in Anspruch nehmen kann, während das Anschauen, also das Herunterladen, in Echtzeit erfolgt. Nur wer schon einmal an den Rechnern in einem Forschungs- oder Industrienetz saß, der weiß, daß diese Asymmetrie kein Naturgesetz ist.

Doch auf der anderen Seite geht der Medienindustrie der Content aus. Sie kann gar nicht so schnell produzieren, wie sie Inhalte benötigt, um in der Masse bestehen zu können. Nicht zu Unrecht heißt es: »Wer nicht updated, stirbt.« Denn die Industrie steht in Konkurrenz zu den Massen von Blogs und anderen privaten Anbietern, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die aus Enthusiasmus oder auch aus dem Wunsch heraus, irgendwann vielleicht doch einmal Geld mit diesen Aktivitäten verdienen zu können, ihre Inhalte ins Netz stellen.

So entstand die Idee vom User Generated Content, die Idee, diese privaten Anbieter zu kanalisieren und zu zähmen und natürlich mit diesen Inhalten, die der Nutzer kostenlos zur Verfügung stellt, auch wieder Geld zu verdienen. Die ausgeprägteste Form dieses User Generated Contents sind die sogenannten Social-Media-Plattformen, wie Facebook oder StudiVZ, in denen der Nutzer nicht nur die Inhalte produziert, sondern auch noch seine persönlichen Daten zur Verfügung stellt.

Denn die persönlichen Daten, mit denen man zielgenau sein Publikum mit Werbung bombardieren kann, haben sich zur eigentlichen Währung des Internets entwickelt. Sie sind es, an die die Medien- und Werbeindustrie interessiert ist, mit denen Facebook und Co. ihr Geld verdienen (wollen). Der Erfolg von Google ist die prototypische Matrix, an der sich fast alle anderen Geschäftsmodelle orientieren.

In Deutschland ging man sogar soweit, daß man diese Form des User Generated Content speziell im Hause Springer zum »Bürgerjournalismus adeln wollte. Das ist natürlich Unsinn: Von Bürgerjournalismus kann man eigentlich nur reden, wenn der Bürger auch Besitzer (nicht unbedingt Eigentümer) der Produktionsmittel und seiner Daten, das heißt, wenn er seiner Arbeit im marxistischen Sinne nicht »entfremdet« ist. Viele Blogs - wie beispielsweise auch meines - werden selbst gehosted. Selbst gehostet heißt nicht unbedingt, daß ich Besitzer der Server bin (obwohl auch das vorkommt), aber ich zahle für das Hosten (und habe im Idealfalle auch noch ein Backup aller meiner Daten auf meinem privaten Rechner zuhause). Mir gehört also mein Blog, wie mir auch meine Daten gehören.

Das ist bei den sogenannten »sozialen Netzen« nicht der Fall. Fast alle AGBs der Anbieter besitzen eine Klausel, in der der Nutzer die Nutzungsrechte an seinen hochgeladenen Inhalten an den Anbieter überträgt. Facebook zum Beispiel darf also mit meinem Content machen, was Facebook will.

Dabei hat der Bürgerjournalismus durchaus seine Berechtigung: In vielen Bereichen nimmt die Medienindustrie ihre ureigensten Aufgaben nicht mehr wahr, weil die Profitrate zu gering ist. Der Berliner Bezirk Neukölln zum Beispiel, in dem ich lebe, hat etwa 320.000 Einwohner und kommt in der lokalen Presse bestenfalls noch im Polizeibericht vor. Lokale Blogs und Webseiten politischer Gruppen oder privater Enthusiasten füllen in vielen Fällen schon diese Lücken aus. Es gibt Fernsehen aus Neukölln im Internet, Nachrichten aus dem Schiller- oder Reuterkiez und vieles mehr.

Ein anderes Beispiel: Auch nicht massenkompatible Sportarten finden in der Presse kaum noch Erwähnung. Über Damenrugby, Dog-Agility oder Jugger berichten nur noch Webseiten oder Blogs und es gibt Wikis, in denen beispielsweise das Regelwerk diskutiert wird und nicht zuletzt nutzen viele hier auch die sozialen Netze, um sich Communities rund um ihre Freizeitbeschäftigung aufzubauen. Und so gibt es viele Bereiche, in denen Nutzer die bestehende Netzinfrastruktur nutzen, um sich mitzuteilen und ihre Ansichten auszutauschen, ihre Freizeit oder ihr politisches Leben zu organisieren. Das ist die reale Grundlage vom Mythos der »Generation Facebook«.

So ist das Netz eben nicht nur ein Tummelplatz für Verschwörungstheoretiker, sondern durchaus auch ein Ort ernsthafter politischen Information und Organisation, der der klassischen Medienindustrie nicht wenige Kopfschmerzen verursacht. Die Debatte um die »Gatekeeper«-Funktion des »ausgebildeten« Journalisten speist sich vornehmlich aus diesen Kopfschmerzen und wird seltsamerweise vornehmlich in den Medien geführt, die diese Gatekeeper-Funktion nie wahrgenommen haben. Oder will jemand ernsthaft die BILD-Zeitung zum Hort des seriösen Journalismus ausrufen?

Aber noch ein zweiter Umstand verursacht der Medienindustrie Bauchgrimmen. Es ist die Frage, ob Digitalisate überhaupt noch als »Waren« betrachtet werden können. Um dies zu verstehen, müssen wir ein wenig in die Betriebswirtschaftslehre eintauchen. Der Tauschwert einer Ware, also den Wert, den das Unternehmen mindestens einnehmen muß, um seine Kosten hereinzuspielen, setzt sich aus fixen Kosten (also zum Beispiel Miete der Geschäftsräume) und variablen Kosten (das sind die Kosten, die bei jedem zusätzlich produzierten Stück anfallen) zusammen. Dem steht der Gebrauchswert gegenüber, also der Wert, den der Kunde maximal bereit ist, für ein Gut zu zahlen. Tausch- und Gebrauchswert werden in unserer Gesellschaft in Geld ausgedrückt.

Die Reproduktion, also die Vervielfältigung oder Massenfertigung eines digitalisierten Gutes - sei es ein Film, ein Musikstück oder ein Text - besitzt nun aber die Eigenschaft, mehr oder weniger kostenfrei zu sein. Denn für das Speichern, Kopieren und Herunterladen fallen nur noch minimale bis gar keine Kosten an. Das heißt, die variablen Kosten gehen gegen Null.

Andererseits können digitalisierte Güter einen nahezu unbegrenzten Kundenkreis erreichen. Und jede noch so große Zahl geteilt durch Unendlich ergibt ebenfalls Null. Das heißt aber, daß auch die fixen Kosten gegen Null tendieren.

Also haben in letzter Konsequenz digitalisierte Güter keinen in Geld ausdrückbaren Tauschwert mehr. Und einen Gebrauchswert? Den haben sie sicherlich, denn sonst würde man sich ja einen Film oder ein Musikstück nicht herunterladen wollen. Aber Geld zahlen will dafür eigentlich niemand, und das nicht nur aus Geiz. Denn wenn der Tauschwert nicht mehr in Geld meßbar ist, dann läßt sich auch der Gebrauchswert digitaler Güter auch nur noch schwerlich in Geld ausdrücken. Die Digitalisate haben ihren Warencharakter und das Geld seine Rolle als allgemeines Äquivalent verloren.

Als Gegenstrategie setzt die Industrie in vielen Fällen auf eine künstliche Verknappung. Das ist der wahre Hintergrund der Diskussion um ein Leistungsschutzrecht, des »Heidelberger Appells« gegen die »Berliner Erklärung zum Open Access in den Wissenschaften«, der Versuch, Netzsperren gegen angebliche Urheberrechtsverletzer zu etablieren und vielen anderen Aktivitäten rund um ein antiquiertes Urheberrecht, mit der die Medienindustrie und ihre Lobby versucht, mit Hilfe des Gesetzgebers ihre Pfründe zu retten.

Der perfideste Versuch der künstlichen Verknappung ist jedoch der Angriff auf die Netzneutralität. Netzneutralität bedeutet, daß alle Angebote, sei es der Spielfilm von RTL oder die Nachrichten des ZDF, sei es der Blogbeitrag im Schockwellenreiter oder das hochgeladene Spaßvideo der letzten Party mit gleicher Priorität und Geschwindigkeit durch die Netze transportiert werden. Nun verlangen aber einige Content-Anbieter ein Zweiklassen-Netz. Gegen Bezahlung sollen privilegierte Inhalte bevorzugt und schneller durch die Leitungen zum Endkunden transportiert werden. In letzter Konsequenz heißt dies: Ein Hochgeschwindigkeitsnetz für die Medienindustrie und einen Bummelzug für die privaten Anbieter. Bisher wurde dieses unmoralische Ansinnen noch von der Politik abgelehnt, erste Breschen sind aber zum Beispiel mit dem sogenannten Google-Verizon-Deal geschlagen worden. Mit diesem Abkommen will Google vermutlich seinen Umbau von YouTube zu einem »Fernsehen im Netz« vorantreiben.

Der Kampf um das Netz ist also im vollen Gange. Die Medienindustrie will die Hegemonie und der engagierte Nutzer Partizipation. Doch die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, daß alle die Vorstellungen von einem emanzipatorischen Web, von einem Internet als Kommunikationskanal, den Weg gehen, den nach der Einführung privater Fernsehsender der »Offene Kanal« gegangen ist: Nämlich den Weg in die Bedeutungslosigkeit. Aber auf der anderen Seite stehen die Chancen auch nicht schlecht, daß es tatsächlich gelingt, das oben erwähnte alte Brechtsche Versprechen einzulösen. Ein Netz als Kommunikationskanal oder ein Web des Wissens wird einem aber nicht in den Schoß fallen, sondern es muß erstritten werden. Doch das Netz fasziniert viele und viele sind auch bereit, dafür zu kämpfen. Ich bin daher verhalten optimistisch.


Erstveröffentlichung unter dem Titel www.maxmuellerluedenschuh oder: Wem gehört das Internet?, Lunapark21, Heft 14, Sommer 2011, Seite 68-70

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