Jörgs Arbeitsnotizen


Urheberrecht und Klassenkampf

Dieser Artikel von Konstantin inspirierte mich zu ein paar unsortierten Gedanken zum Thema Piratenpartei, gesellschaftlichen Veränderungen und Urheberrecht (und wie das alles zusammenhängt). Mein Beitrag entstand spontan, ich bitte ihn daher auch so zu betrachten: Als Diskussionsentwurf, nicht als fertiges Thesenpapier.

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Zuerst eine kleine, wenn auch für die weitere Argumentation wichtige Petitesse: Karl Marx hätte sich vermutlich wohl darüber gefreut, wenn die Vervielfältigung seiner Arbeiten durch Maschinen in den Händen der Massen erfolgt wäre, denn

  • gelebt hat er sowieso nicht davon. Damals wie heute war das Vertreiben wissenschaftlicher Arbeiten ein (Druckkosten-) Zusatzgeschäft. Verdient hatten (und haben bis heute) nicht die Autoren, sondern nur die Verlage. Die Vermengung wissenschaftlicher Arbeiten mit belletristischen Schriften und/oder Sachbüchern ist eine unseriöse Argumentation, die zum Beispiel auch den Heidelberger Appell durchzieht. Wobei zu beachten ist, daß, bis auf bei wenigen Bestsellerautoren, auch den Autoren von Belletristik und Sachbuch in der Regel nur Brosamen vom Kuchen der Verlage übrig bleiben.
  • ist es marxistische Argumentation, daß sich mit dem Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (Benjamin war ein marxistischer Denker, auch wenn das seine bürgerlichen Rezipienten gerne verdrängen) das Eigentum am Kunstprodukt (und Benjamin nennt hier ausrücklich auch Literatur) aufheben wird. Dieser Eigentums- und Urhebergedanke sei sowieso nur der bürgerlichen Gesellschaft eigen, die Feudalgesellschaft kannte ihn nicht (der »Künstler« war im Regelfalle »Angestellter« (s)eines Fürsten und wurde von ihm alimentiert). Man lese auch nach, was Enzensberger 1970 in seinem Baukasten für eine Theorie der Medien darüber geschrieben hat.

Dann zu Sascha Lobo: Sascha Lobo ist Berater und vermutlich auch Miglied der SPD. Und sein Handeln und auch seine Argumentation ist in dieser Hinsicht legitim, denn wie schon mein verehrter Lehrer Wolfgang Fritz Haug feststellte, ist Ideologie eine Frage von Standpunkt und Perspektive. Und vom Standpunkt eines bürgerlichen Neoliberalen mit sozialem (Rest-) Gewissen ist der sozialdemokratisch verbrämte Neoliberalismus eine Perspektive, unter der sich alles andere unterzuordnen hat. Denn Sascha Lobo mag alles sein, aber er ist kein Linker. Sein Buch über die digitale Bohème frönt einem kleinbürgerlichen Wirtschaftsliberalismus, der seinen Herkunft von Max Stirners Der Einzige und sein Eigentum nicht leugnen kann.

Drittens: Ohne wirklich aussagekräftiges Material dazu zu haben, befindet sich die kapitalistische Gesellschaft meiner Meinung nach in einer Übergangsphase. Die industrielle Produktion (Hauptproduktivkraft des Kapitalismus) ist im Rückgang begriffen. In dieses Vakuum stoßen »neue« Produktionsmethoden, die durchaus vom Kommunikations- und Communitygedanken der Netzgemeinde beeinflußt sind (oder beeinflußt werden sollten). Das bedeutet natürlich auch, daß der Klassenkampf auch das Netz nicht ausspart, das er sogar, wie ich im nächsten Abschnitt ausführen werde, sich hier in einer spezifischen Prägung austobt.

Denn: Was Brecht schon für den Rundfunk konstatierte, stimmt auf jeden Fall für das World Wide Web: Es ist nicht aus einer gesellschaftlichen Notwendigkeit, sondern durch Zufall enstanden. Das ARPA-Net als ausfallsicherer Kommunikationsbackbone amerikanischer Militärs wurde der Wissenschaft zu Testzwecken überlassen, weil man keine kommerzielle Bedeutung darin sah. Dies war ein großer Glücksfall, denn da sich das Internet zuerst ohne kommerziellen Verwertungsdruck etablieren konnte, entstanden die Strukturen, in denen wir uns noch heute bewegen.

Erst mit der Kommerzialisierung entstand ein janusköpfiges Netz. Auf der einen Seite all die netten Spielzeuge, die wir nutzen, um aus jedem Empfänger auch einen potentiellen Sender von Informationen und Meinungen machen zu können, auf der anderen Seite die Phalanx von RTL/Sat1/ProSieben, Murdoch, Bertelsmann, Warner und den anderen Medienkonzernen, die in dem Netz nur einen weiteren Distributionskanal für ihre Produkte sehen und für die naturgemäß die Vorstellung eines demokratischen Peer-to-Peer-Netzes ein Greuel ist. Glaubt mir, der Kampf gegen Musik- und Filmdownloads ist nur ein Vorwand, der Kampf richtet sich gegen P2P allgemein, weil dies nicht nur die Verwertungsinteressen, sondern die Hegemonie der (Medien-) Konzerne über das Netz gefährdet.

In diesem Zusammenhang sind auch die Netzsperren zu sehen. Auch hier bildet der Kampf gegen Kinderpornographie nur einen willkommenen Vorwand, um Zensurstrukturen zu etablieren, die die Vorherrschaft der Konzerne sichern und die Kontrolle über das Netz gewährleisten sollen.

Die Rundfunkgeschichte liefert dafür das Beispiel: Es gab in Deutschland nie einen technischen Grund dafür, daß der Rundfunk zentralisiert und in Staatshänden geführt werden muß. Die Zentralisierung wurde in der Weimarer Republik von den großen Konzernen vorangetrieben und mündete dann im faschistischen Staatsrundfunk mit Volksempfänger, der aus Gründen der Staatsraison dann auch in die Gesellschaften von BRD und DDR übernommen wurde.

Meiner Überzeugung nach leben wir also in einer Übergangsgesellschaft. Und da, im Gegensatz zu seinen Exegeten, Marx nie behauptet hat, daß es einen »automatischen« Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus geben wird, sondern daß der Sozialismus eben auch (nur) eine (von vielen möglichen) »Perspektiven« sei, für die man kämpfen muß, stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten in dieser Phase des Übergangs stecken. Das Netz wird sicher nicht die Welt verändern. Aber die Kommunikations- und Communityformen, speziell der P2P-Gedanke, die sich im Netz entwickelt haben, könnten durchaus als Modell für zukünftige Gesellschaftsformen dienen.

Zur Analyse der derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnisse ist es notwendig, Marx aus dem Korsett der Histomat- und Diamat-Ideologie des real existierenden Sozialismus zu befreien und neu zu interpretieren. Das ist leider in den letzten Jahren kaum erfolgt, die einzige neuere Diskussion, die ich dazu gelesen habe, ist Elmar Altvaters Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Aber neben dem schon erwähnten Haug erlauben auch die Arbeiten von Althusser oder die Marxistische Wirtschaftstheorie von Ernest Mandel (ja, Mandel war nicht nur Vorsitzender der IV. Internationale, sondern auch ein durchaus ernst zu nehmender, marxistischer Wirtschaftswissenschaftler), Marx wieder als Wissenschaftler ernst zu nehmen und nicht als Säulenheiligen anzubeten. Und Öffentlichkeit und Erfahrung, der marxistische Gegenentwurf von Oskar Negt und Alexander Kluge zum Habermas’schen (bürgerlichen) Öffentlichkeitsbegriff, dürfte ebenfalls für eine Analyse nützlich sein.

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Im Grunde meines Herzens bin ich jedoch Anarchist. Nicht ein Anarchist im Sinne des Stirnerschen Brutal-Individualismus, sondern ein Anhänger kropotkinscher Kooperation und (gegenseitiger) Hilfe. Und in diesem Sinne gilt es, die kropotkinschen Gesellschaftsentwürfe mit der marxistischen Gesellschaftsanalyse zu versöhnen. Wer, wenn nicht ein Pirat, könnte diese Aufgabe übernehmen? Bei all meiner Sympathie für die Linken sind diese mehrheitlich zu sehr im Gestern verhaftet, als daß von Ihnen ein moderner Entwurf zu erwarten wäre.


Erstveröffentlichung: Der Schockwellenreiter vom 29. Juni 2009

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