Jörgs Arbeitsnotizen


Lernen Sie programmieren …

Ist es Ihnen nicht auch schon so ergangen? Sie sitzen vor Ihrem Computer und suchen verzweifelt in all diesen wunderbaren Aufklapp- und Popup-Menüs die eine Funktion, die Sie dringend brauchen, aber die Ihre Software scheinbar nicht hat. Und wenn doch, dann finden Sie sie nicht. Der Programmierer des Pakets hat an alles gedacht.

Nur nicht an Sie …

Das hat durchaus Methode. Die Firma, die dieses Programm vertreibt, will es natürlich an viele, viele Kunden verkaufen. Also beauftragt sie einen Programmierer (oder ein Gruppe von Programmierern), möglichst an alle Funktionen zu denken, die ein potentieller Nutzer benötigen könnte. Leider funktioniert das nicht. Die Programme werden zwar größer und teurer, sind mit vielen Features überladen, aber trotzdem ist das, was Sie gerade benötigen, nicht dabei.

Dabei muß das nicht so sein und in der Frühzeit des Personalcomputers war das auch nicht so. Der legendäre Commodore C64 aus den 1980er Jahren, liebevoll Brotbüchse genannt, kam mit einem Basic-Prompt hoch, also einer Aufforderung, Programmierbefehle einzutippen. Basic war eine einfache Programmiersprache und der Commodore erwartete, daß sie als Nutzer ihn damit programmierten.

Dieses Verhalten ist in der Unix-Welt bis heute erhalten geblieben und immer noch vielen Wissenschaftlern vertraut. Für ihr Spezialgebiet existieren viele kleine, hochspezialisierte Programme, die nur eine einzige Aufgabe erledigen. Daraus klebt sich der Wissenschaftler sein ganz persönliches Programm zusammen, genau das Programm, das er braucht und das seinen ganz persönlichen Bedürfnissen entspricht.

Warum macht er das, warum läßt er sich nicht ein Programm von einem professionellen Programmierer erstellen? Glauben Sie mir, ich bin seit über 15 Jahren EDV-Leiter an einem Forschungsinstitut, und daß, was ein Programmierer programmiert, ist nie das, was der Forscher braucht. Das liegt nicht einmal an Verständigungsproblemen, sondern schlicht daran, daß der Wissenschaftler zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht weiß und auch noch gar nicht wissen kann, was er braucht. Seine Arbeit und auch seine Fragen verändern sich über die Zeit, je länger er an einem Problem arbeitet, je mehr versteht er, was er eigentlich fragen muß. Das wußte er aber noch nicht, als er das Programm in Auftrag gab.

Jetzt sagen Sie nicht, ich bin kein Forscher, bei mir ist das anders. Sie haben sich sicher Ihren Computer nicht nur gekauft, um einmal im Monat einen Brief an das Finanzamt zu schreiben, indem Sie begründen, warum Sie einen Computer gekauft haben. Sie wollen vielleicht Ihre Photos damit aufhübschen oder Ihre Filme schneiden, die Mitglieder- und Leistungslisten Ihres Sportvereins verwalten, das Hochladen Ihrer Photos ins Internet automatisieren oder, oder … Und je länger Sie damit arbeiten und je mehr Erfahrungen Sie gewinnen, desto deutlicher wird: Die Programmierer der von Ihnen benutzten Programme haben nicht an Sie gedacht.

Sie haben also die Wahl: Entweder Sie leben mit den Unzulänglichkeiten, die Ihnen die Software-Hersteller aufzwingen oder Sie wehren sich dagegen, in eine Massenschublade geschoben zu werden und lernen programmieren. Sagen Sie nicht, das können Sie nicht, vielleicht haben sie es sogar schon getan. Denn haben Sie schon einmal mit Excel oder einer anderen Tabellenkalkulation gearbeitet? Vielen ist sie vertraut, und wenn Sie dem Programm sagen, daß im Feld A11 die Summe der Inhalte der Felder A1 bis A10 stehen soll — dann haben Sie Ihr erstes Programm geschrieben. Sie wußten es nur nicht, weil es Ihnen niemand gesagt hat.

Denn um einem Computer nach Ihren Bedürfnissen zu programmieren, müssen Sie kein ausgefuchster Systemprogrammierer sein. Um kleine Routinen zu schreiben, damit der Computer endlich das macht, was Sie wollen, dazu müssen Sie nicht viel lernen, das ist einfacher als man Ihnen immer weißgemacht hat. Im Fachjargon nennt man diese kleinen Routinen „Skripte“ und die Sprachen, in denen man diese Sripte schreibt, heißen folgerichtig auch „Skriptsprachen“. Und glauben Sie mir, „Skripten“ macht Spaß. Daher: Lernen Sie programmieren, emanzipieren Sie sich von der Software-Industrie, denn sonst werden Sie programmiert.


Erstveröffentlichung unter dem Titel Lernt programmieren, sonst werdet ihr programmiert! Über die Emanzipation von der Software-Industrie, Deutschlandradio Kultur — Politisches Feuilleton, gesendet am 27. Oktober 2010

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