Jörgs Arbeitsnotizen


Kalte Krieger und Kommissköppe.

Rezension des Buches „World Wide War — Angriff aus dem Internet“

Sachbücher, die mit einem Wetterbericht beginnen, weckten schon von jeher mein Mißtrauen. Und dieses Buch beginnt mit einem: „An einem jener grauen und eisigen Washingtoner Wintertage …“

Doch es kommt noch besser — schon im ersten Kapitel:

Der Viertelmond spiegelte sich im träge fließenden Euphrat, jenem Fluss, um den die Völker seit fünf Jahrtausenden kämpfen. Kurz nach Mitternacht, am 6. September 2007 wurde das Flusstal zum Schauplatz eines neuartigen Angriffs, der seinen Ursprung im Cyberspace genommen hatte. […] Es war sechs Stunden her, dass eine große Zahl nordkoreanischer Arbeiter die Baustelle verlassen hatte. Sie waren diszipliniert in die bereitstehenden Busse gestiegen …

Klischee, ick hör dir trapsen! Denn der Mond spiegelt sich immer im träge fließenden Euphrat, selbst an wolkigen Regentagen, Nordkoreaner sind immer diszipliniert und Busse stehen immer bereit.

Und so geht es durch das gesamte Werk: Richard A. Clarke erzählt in der Ich-Form, nachdem er schon in der Einleitung seinen Co-Autor und vermutlichen Ghostwriter Robert K. Knake elegant ins Abseits geschoben hat. Und er plaudert über die wüstesten Dinge, als wäre er dabei gewesen. Permanentes, beiläufiges Namedropping soll die Kompetenz des ehemaligen Militärberaters der Clinton- und der Bush-Regierung beweisen.

Es kostete einige Überzeugungsarbeit, um der Regierung Bush klarzumachen, dass die Netzsicherheit ein großes Problem war …

Oder aber auch mal den Erzfeind erwähnend:

Barack Obama befand sich im Präsidentschaftswahlkampf, als sich im Sommer 2008 ein Team von nationalen Sicherheitsexperten versammelte …

Im ersten Drittel des Buches werden so im Plauderton munter mögliche Angriffsszenarien abgehandelt, die die USA und die freie Welt bedrohen könnten. Dabei ist der Autor überzeugt, daß der nächste große Feind China sein wird, das zum Angriff auf „nordkoreanische Schläferzellen“ von „Cyberkriegern“ zurückgreifen kann.

Im mittleren Teil werden dann die Gefahren, die aus dem Internet drohen, aufgezählt. Hier wird alles aufgelistet, was in der jüngsten Zeit an vorgeblichen oder wirklichen Gefahren in der Presse Erwähnung fand, alles was es an Viren, Schadsoftware, Trojanern gibt oder geben soll. Angeblichen oder realen Hackern werden eine geradezu dämonische Macht und geniale Fähigkeiten angedichtet. Von Fakten lassen sich die Autoren nicht beeinflussen, denn das man die Angriffe nicht nachweisen kann, sei ja das Merkmal des Cyberkrieges:

Die erste Begründung für das Scheitern des Bemühens um Sicherheit im Cyberspace lautet, dass die bisherigen elektronischen Attacken keine Spuren hinterlassen haben, keine gähnenden Krater wie jenen in Ground Zero in Manhattan.

So kann man auch fröhlich drauflos fabulieren. Wild werden Tatsachen mit Halbwahrheiten und Vermutungen vermischt. Um Quellennachweise scheren sich die Autoren einen Dreck. Dem Leser fehlt so jede Möglichkeit, das Behauptete nachzuprüfen. Zeitweise fühlte ich mich bei der Lektüre an die Prä-Astronautik Erich von Dänikens erinnert, so phantasievoll und unbehelligt von der Realität führen die Beiden uns durch ein Horrorszenario des Cyberkrieges.

Und so losgelöst wirkt natürlich alles bedrohlich. Das ist das Merkmal aller guten Verschwörungstheorien: Jeder Kaugummiautomat mutiert zur Massenvernichtungswaffe, jeder Fahrstuhl, der via Internet mit der Servicefirma verbunden ist, zur Bedrohung für die nationale Sicherheit.

Im letzten Teil geht es dann in medias res: Hier wird Krieg gespielt, Cyberkrieg in all seinen Facetten. Und als Leser wurde ich das Gefühl nicht los, daß Herr Clarke sich diesen Krieg geradezu herbeisehnt:

Warum spielen wir nicht eine Runde Cyberkrieg und verdeutlichen so die politischen Entscheidungen, die eine derartige Strategie prägen? […] Bei unserer Analyse richte ich an Sie als Leser die gleiche Bitte wie […] an die für die nationale Sicherheit zuständigen Regierungsbeamten, die am Konferenztisch des Situation Room im Weißen Haus sitzen: „Wehren Sie sich nicht gegen das Szenario.“ Damit meine ich, dass man seine Zeit nicht darauf verschwenden sollte, die Prämisse abzulehnen, dass es eines Tages zu einem schwerwiegenden Konflikt zwischen den USA und Russland oder China kommen könnte.

Wer es bis hierhin nicht bemerkt hat, hier wird die Katze endgültig aus dem Sack gelassen. Richard A. Clarke ist ein alter, kalter Krieger, der sich gerne zum Clausewitz des Computerkriegs hochstilisieren möchte. Spätestens ab hier macht sich ein ekliger Militarismus breit, der von Stahlgewittern im Cyberkrieg schwärmt, das längst in die Mottenkiste der Geschichte gehörende Gleichgewicht des Schreckens propagiert, zum globalen Krieg aufruft und Kollateralschäden billigend in Kauf nimmt.

Das als Sachbuch getarnte Machwerk liest sich wie eine Bewerbung für einen Beraterposten in der Obama-Regierung. Und so endet das Buch mit einer nichtgehaltenen Rede des Präsidenten, die der Kommisskopp des Computerkriegs Obama auch gleich geschrieben und in den Mund gelegt hat:

Ebenso wird der Cyberspace als Schlachtfeld missbraucht. Weil sich Cyberwaffen so leicht aktivieren lassen und weil die Indentität des Angreifers manchmal geheim gehalten werden kann, weil Cyberwaffen Tausende Ziele gleichzeitig treffen und binnen Sekunden für Verwirrung sorgen und ungeheure Zerstörungen anrichten können, sind sie eine neue Quelle der Instabilität in einer Krise und könnten zu einer Bedrohung für den Frieden werden.

Lassen Sie mich Ihnen versichern, mein Land wird sich und seine Verbündeten im Cyberspace und andernorts verteidigen.

Nach diesen markigen Worten bin ich doch heilfroh, daß die deutsche Bundesregierung das frisch gegründete „Nationale Cyber-Abwehrzentrum“ nicht dem Verteidigungs-, sondern dem Innenministerium zugeordnet hat. Denn in jedem halbwegs demokratischen Staat wird Kriminalität von der Polizei und nicht vom Militär bekämpft.

Es gibt völlig unbestritten Cyber-Kriminalität — wir erleben sie tagtäglich —, aber einen Cyberkrieg, den phantasieren sich Clarke und Konsorten aus wohlüberlegtem politischen Kalkül nur herbei. Den Beweis dafür sind sie uns nämlich auf den 350 Seiten schuldig geblieben. Ihr Buch sollte daher dahingetreten werden, wo es hingehört: In die Mülltonne der Geschichte.


Erstveröffentlichung unter dem Titel Klischee, ick hör dir trapsen! Rezension zu Richard A. Clarke: World Wide War. Angriff aus dem Internet, Hoffmann und Campe Verlag, 2011, Deutschlandradio Kultur — Lesart, gesendet am 21. August 2011

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