Das iPad ist nur eine Fernbedienung
Zu Beginn ein wenig Computergeschichte: 1987 veröffentlichte Apple das Programm HyperCard und legte es kostenlos jedem verkauften Macintosh-Computer bei. HyperCard erlaubte es, kleine Anwendungen für den Mac zu schreiben und die dafür zuständige Programmiersprache HyperTalk war einfach, intuitiv und leicht zu lernen. Dies löste eine Welle von Kreativität aus. Lehrer schrieben sich ihre Unterrichtsmaterialien selber, Literaturwissenschaftler schufen sich eine multimediale Arbeitsumgebung oder Museen zeigten virtuelle Führungen durch ihre Ausstellungen. Das Besondere an den kleinen Programmen, die damals noch nicht Apps, sondern Stacks (für Stapel) hießen, war, daß sie meistens nur für die eigene Nutzung und nicht für ein großes Publikum geschrieben waren. Der Anwender löste seine Probleme mit Hilfe von HyperCard selber, ohne auf externe Hilfe professioneller Programmierer oder großer Softwarehäuser, die damals auch noch kaum existierten, angewiesen zu sein.
Und schon in den 1960er und 1970er Jahren arbeite der Computerpionier Alan Kay zusammen mit dem Mathematiker und Psychologen Seymor Papert am berühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT) am Konzept des Dynabooks. Es sollte ein Computersystem sein, das selbst Kinder einfach nutzen und programmieren können. Kay setzte auf die Idee eines Tablet-Computers, der auch mit haptischen Gesten zu bedienen ist. Das Dynabook ist also der Urgroßvater des iPads.
Zeitsprung! Seit etwa 1997 das Internet mehr und mehr die akademischen Spielwiesen verließ und in der harten Realität Fuß faßte, tobt dort ein erbitterter Kampf um die Vorherschaft im World Wide Web. Auf der einen Seite die, die das Internet als eine Erfüllung des bis heute nicht eingelösten Versprechens der Brechtschen Radiotheorie sehen, als ein Medium, in dem jeder Empfänger auch gleichzeitig ein Sender sein kann. Der amerikanische Internet-Pionier Dave Winer zum Beispiel spricht vom Two-Way-Web, davon, daß das Web eine “Umgebung für Schreiber, nicht nur für Leser” sei. Auf der anderen Seite sitzen die Vertreter der großen Unterhaltungskonzerne, für die das Netz nur ein weiterer Distributionskanal der klassischen Medien Print, Funk und Fernsehen, ein Vertriebskanal für Videos und Musik ist, angereichert um ein paar interaktive Spielereien. Es ist eigentlich ein ungleicher Kampf, bei dem die kleinere Seite nur deshalb noch überlebt hat, weil die großen Medienunternehmen bis heute noch nicht wirklich verstanden haben, wie das Netz - auch als soziales Netz - funktioniert. Und weil ihnen bis heute noch keine Idee gekommen ist, wie eine Wertschöpfungskette im Internet aufgebaut werden kann. Aber der Kampf ist hart, wie auch die aktuellen Angriffe auf die Netzneutralität zeigen. Denn noch sind im Internet alle gleich, doch nun wird gefordert, daß derjenige, der mehr zahlen kann, auch mehr Bandbreite zur Verfügung gestellt bekommt. Also schnelles Internet für die einen, lahmes Internet für den Rest der Welt.
In dieser Situation präsentiert Apple der staunenden Öffentlichkeit das iPad. Alle Welt jubelt. Sieht das Gerät nicht aus wie eine moderne und schicke Verkörperung des Dynabooks? Verspricht es uns nicht Internet überall und in Farbe? Ist es nicht das Gerät, mit dem auch unsere Oma durch die endlosen Weiten des Webs surfen kann?
Und erst der Jubel der Medienunternehmen. Zum Konzept des iPads - wie schon des iPhones - gehört es nämlich, daß man nicht nur Inhalte, sondern auch die Programme, Apps genannt, nur noch über Apples eigenen App Store gegen Abgabe seiner Kreditkartennummer herunterladen kann. Was beim iPhone noch mühsam mit Sicherheitsanforderungen begründet und zähneknirschend akzeptiert wurde. Doch beim iPad? Warum sollte es gefährdeter sein als jeder andere Computer. Nein, mit dem iPad kann man zum ersten Mal richtig Geld für seine Webinhalte verlangen. Springer hat es schon vorgemacht: Die Bild kommt nicht mehr als Webseite, sondern als “App” auf das iPhone oder iPad, das Eintreiben der Rechnung ist unproblematisch, denn der Nutzer hat seine Kreditkartennummer ja im App Store schon hinterlegt. Und das iPad ist im Grunde ja auch ein wirklich faszinierendes Gerät. Es erlaubt, die täglichen Nachrichten multimedial aufzubereiten, mit farbigen Bildern zu illustrieren und mit begleitenden Videos aufzupeppen. Nur … kein Lehrer kann damit speziell für seine Schüler entwickeltes Unterrichtsmaterial in die Klassenzimmer bringen. Er kann nur Unterrichtsmaterial im App Store kaufen.
Es ist so nur konsequent, daß jede Skript- oder Programmiersprache niemals die geheiligte CPU eines iPads erreichen wird. Das ist der eigentliche Grund, warum keine Flash-Videos auf iPhone oder iPad laufen. Denn wäre Flash installiert, dann könnte man die Geräte mit ActionScript, der Flash-eigenen Skriptsprache, programmieren. Und da sei Steve Jobs vor.
Und ebenso konsequent ist es, daß alle Medieninhalte über den App Store automatisch mit einem DRM-Stempel versehen werden. DRM steht für Digital Rights Managemanent, also einer digitalen Rechteverwaltung, mit der die Nutzung der Medieninhalte kontrolliert werden soll. Das führt zu absurden Konsequenzen, bis hin zu der, daß ein Autor, wenn er einmal sein Werk im App Store hochgeladen hat, dieses nur noch zu den Rechten, die Apple ihm einräumt, weitergeben kann.
Das iPad ist also wirklich das Gerät, von dem die Medienkonzerne träumen. Endlich eine Abspielplattform, die Gewinne für ihre Inhalte garantiert und verspricht, das weite, wüste und wilde Internet auszusperren.
Das hat Konsequenzen für Software-Entwickler. Denn plötzlich entscheidet ein mächtiger Kerberos am Eingang des App Stores darüber, ob ihre Software der Menschheit zugemutet werden darf oder nicht. Das ist nicht mehr das Spiel des “freien Marktes”, sondern Apples Spiel.
Und es ist eine Gefahr für alle Bemühungen um einen “Open Access”, um einen freien Zugang zum Wissen. Einerseits ist das iPad eine ideale Plattform, um digitale Bücher abzuspielen, zum anderen behindert aber auch hier wieder der DRM-Stempel die freie Weitergabe. Wohin das im Extrem führen kann, hat man bei Amazon gesehen, die ein schon gekauftes und bezahltes elektronisches Buch auf den Abspielgeräten der Nutzer - in diesem Fall Amazons Kindle - wieder löschen ließen, weil es urheberrechtliche Probleme gab. Der ständige Zugriff des App Stores auf das iPad macht solch eine Löschaktion zu einem Kinderspiel.
Und stellen Sie sich einmal vor, wie das Internet aussehen würde, hätte es die App Stores schon in den 1990er Jahren gegeben. Keine alternativen Browser wie Firefox, keine Wikipedia, keine Weblogs und kein YouTube und auch Google wäre mit seiner spartanischen Suchmaschine sicher nicht am Torwächter der App Stores vorbeigekommen. Stattdessen “Unterschichtenfernsehen” auf allen Kanälen, garniert mit ein paar Diskussionsforen und CNN News als kulturelles Feigenblatt. Das hätten wir dann allerdings vermutlich zu einer Flatrate bekommen und dafür noch mehr Werbung als jetzt in Kauf nehmen müssen.
Das iPad ist also kein Computer im Sinne einer Universalmaschine mehr, sondern nur noch eine Abspielplattform für die Inhalte der Medienkonzerne. Das iPad macht aus dem Two-Way-Web wieder eine Einbahnstraße und dazu auch noch zu einer Einbahnstraße, für deren Nutzung gezahlt werden muß.
Das führt als letzte Konsequenz zu einer Entmündigung der Nutzer. Der für das soziale Netzwerk Twitter arbeitende Computerbuch-Autor und Programmierer Alex Payne, eigentlich ein Mac-Enthusiast wie so viele von uns, formulierte es drastisch: “Was mich am meisten am iPad stört, ist dies: Hätte ich als Kind anstelle eines richtigen Computers nur ein iPad gehabt, wäre ich nie ein Programmierer geworden.” Denn möglicherweise läutet das iPad das Ende einer “Hacker-Ära” ein und entmündigt uns mit klinisch reinen Anwendungen, die zwar praktisch sein mögen, aber jede Kreativität im Keim ersticken. Für mich jedenfall steht fest: Ein Computer, auf dem keine einzige Programmiersprache läuft, ist kein Computer, sondern eine Fernbedienung.
Wird das iPad dennoch ein Erfolg? Ich hoffe es. Denn Google hat schon angekündigt, falls das iPad erfolgreich sei, mit einem eigenen Tablet-Computer nachzustoßen. Und Google hat dafür schon mindesten ein Betriebssystem, das diesen Namen auch verdient: Android ist eine freie und quelloffene Plattform für Mobiltelephone, für die jeder Software schreiben und verkaufen darf. Es basiert, wie Googles zweites, ebenfalls freies und quelloffenes Betriebssystem, Chrome OS, das für Netbooks gedacht ist, auf Linux und bringt eine Java Virtuelle Maschine (JVM), also eine Umgebung, in der Java-Programme laufen, von Hause aus mit. Ob Googles Tablet mit Android oder Chrome OS oder einer Mixtur aus beiden laufen wird, ist unerheblich, denn Google hat das Internet verstanden: Es kann sich nur entfalten, wenn sich Ideen auf offenen Plattformen unreglementiert und meistens sogar ohne kommerziellen Hintergedanken manifestieren können. Solange ich also Google “nur” meine Seele, also meine Daten schenke, verwöhnt mich die Datenkrake mit Open Source Software und der Idee eines freien Internets. Das liegt sicher auch an den unterschiedlichen Geschäftsverhältnissen: Mit Apple stehe ich in einer direkten Geschäftsbeziehung und kaufe Produkte, egal ob Hard- oder Software, direkt aus Cupertino. Umgekehrt steht Google mit mir in einer Geschäftsbeziehung und möchte von mir meine Daten haben. Im ersten Fall bin ich Käufer, im zweiten Fall Anbieter.
Um keine falschen Vorstellungen aufkommen zu lassen: Ich sehe die Datenkrake Google durchaus kritisch und bin eigentlich ein begeisterter Nutzer der Apple-Computer. Aber das Internet ist schon eine seltsame Welt, in der man Apple mit Google austreiben muß.
Zuerst erschienen in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 3. Februar 2010, Nr. 28, Seite 32